Mauern sind nicht nur ein interessantes Gestaltungselement, sie übernehmen allen voran eine wichtige Stützfunktion. Im Gartenbau werden Hangsicherungssysteme aber oft ohne grosse statische Kenntnisse eingesetzt. Frei Beton AG aus Grabs SG lud zu einem Workshop ein und machte mit vielen Beispielen «unsichtbare» Kräfte sichtbar.
Welche Mauertypen gibt es? Wo sind ihre Schwachstellen und welche sind die Zerfallserscheinungen? Welche Kräfte wirken auf Mauern und wie lassen sie sich bemessen? Welche Faktoren beeinflussen den Erddruck? Wie können Hangsicherungssysteme ohne Einsatz von Beton gebaut werden und welche statischen Regeln müssen bei terrassierten Mauern berücksichtigt werden? All diesen Fragen ging Michael Frei, Dipl. Bauingenieur ETH und Geschäftsleiter von Frei Beton AG an seinem Workshop nach. Theorie- und Praxisblock fanden direkt in ihrem Betonwerk in Grabs SG statt.
Lernen aus Schweizer Mauergeschichte(n)
Die häufigsten Mauertypen in der Schweiz sind die Naturstein-Schwergewichtsmauern und die Winkelstützmauern aus Stahlbeton entlang von Bahn und Strasse. Erbaut wurden erstere ab 1850, letztere ab 1950. Naturstein-Schwergewichtsmauern wurden von unseren Vorfahren in Mischbauweise erstellt, als Natursteinmauerwerk mit unbewehrtem Beton im Verbund oder später als Winkelstützmauer mit Natursteinvormauerung. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass unsere Urahnen einen Top-Job gemacht haben, denn ihre Baukunst hält bereits rund 150 Jahre. Der Zerfallsprozess ist heute jedoch klar sichtbar. Die Ursachen sind Nässe, der Frost-Tau-Wechsel, Salzeinwirkungen, sowie der Mörtelzerfall aufgrund seiner Porosität. Fehlende Mauerabdeckungen und Erdberührungen beschleunigen den Prozess. Durch den Mörtelzerfall wird der innere Verbund gestört, Steine verlieren ihr Gleichgewicht und die Mauer beginnt in immer grösser werdenden Teilbereichen einzustürzen. Durch blosse Fugensanierungen können solche Mauern nicht gerettet werden. Verformungen in Mauern seien Zeichen von fortgeschrittenem Zerfall und/oder Überlastung. Sie dürften nicht bagatellisiert werden, wusste Frei. Spontaneinstürze hätten ein grosses Folgeschadenrisiko. Schwergewichtsmauern haben sich aber bewährt. Sie sind robust und langlebig. Wird auf den Einsatz von Mörtel für den inneren Formverbund verzichtet, könnten mehrere 100 Jahre Nutzungsdauer erwartet werden, wusste der Bauingenieur.
Hingegen sind Winkelstützmauern aus Stahlbeton verletzlicher als erwartet. Bereits nach 40-50 Jahren zeigen sich Schäden. Hier ist die Einspannbewehrung am Übergang vom hinteren Teil des Winkelfusses zur Tragkonstruktion (Arbeitsfuge) die Achillessehne. Genau an diesem Punkt der grössten Krafteinwirkung zersetzt sich das Eisen, sein Querschnitt wird dünner. Wie bei einem «Gümmeli» konzentriert sich die ganze Spannung an der beschädigten, dünnen Stelle und kann zu einem Bruchversagen mit Kettenreaktion führen. Ursache ist der poröse Beton an der untersten Stelle der Mauer, die Lage der Arbeitsfuge und die geringe Bewehrungsüberdeckung. Abhilfe verschaffen könnten eine gute Entwässerung, Schwarzanstriche und Abdichtungsbänder auf der Rückseite der Mauer und nicht rostender Bewehrungsstahl.
Die Bedeutung des Gleichgewichts der Kräfte
«Stellen Sie sich vor, die Mauer bewegt sich vom Hang weg, der von ihr gestützt wird», forderte der Referent die Anwesenden auf. Das helfe, zu verstehen, welche Kräfte hinter der Mauer entstehen. Es entsteht Bewegung im Baugrund. Man erkennt einen dreiecksförmigen Gleitkeil (aktiver Gleitkeil), der sich entlang einer geraden Gleitfläche nach unten verschiebt. Der aktive Gleitkeil übt den sogenannten aktiven Erddruck auf die Stützmauer aus. Die Stützmauer stützt den aktiven Gleitkeil, der sich wegbewegen möchte, resp. stemmt sich gegen den aktiven Erddruck. Ist die Stützmauer richtig dimensioniert, bewegt sich der Gleitkeil nicht. Das heisst, das Eigengewicht des Gleitkeils, die Widerstandskraft der Gleitfläche und die Stützkraft der Mauer auf den Gleitkeil ergeben in der Summe Null – alle Kräfte sind im Gleichgewicht oder anders ausgedrückt: Wenn man das Verhältnis der Kräfte kennt und richtig aufeinander abstimmt, ist das Mauerwerk im Gleichgewicht.
Weshalb aber ist der aktive Erddruck nicht bei jedem Baugrund gleich gross? Eine Schüttung aus gebrochenem Kies ist steiler als mit Ton, weil die Widerstandskraft der Gleitfläche grösser ist. Dadurch ergibt sich einen grösseren Inneren Reibungswinkel φ. Bei Tonen beträgt er bloss 27° bei sauberen Kiesen 36°. Je grösser also der Reibungswinkel um so kleiner wird der Gleitkeil und somit auch sein Gewicht. Die auf die Mauer einwirkenden Kräfte sind geringer und die Mauer muss weniger massiv gebaut werden. Bei nassem Baugrund belastet Wasser die Stützmauer aber um ein Mehrfaches.
«Aufgepasst bei tonigen Böden», mahnte Frei! Sie können im feuchten Zustand fast vertikal angeböscht werden. Das verleite, bei Baugruben oder Arbeitsgräben unvorsichtig zu sein. Kaum trocknen sie ab, werden die Böden instabil und gleiten weg. Der Ingenieur erklärte das Phänomen als «Sandburgeneffekt». Jedes Kind könne am Strand mit feuchtem Sand eine wunderschöne Burg bauen, weil kapillare Saugspannungen feinkörnige Böden wie Silte, Tone und Sande zusammenziehen und die Scherfestigkeit erhöhen. In trockenem oder nassem Zustand wirken diese Kräfte nicht – die Burg bricht in sich zusammen. Deshalb bezeichnet Frei kiesige Böden als «ehrlichere» Böden, da ihr Verhalten vom Wassergehalt nicht so stark beeinflusst wird.
Weitere Einflussfaktoren auf den Erddruck
Wandneigung α, Geländeneigung β, Mauerhöhe h und Auflast q sind weitere Faktoren, die den Erddruck beeinflussen. Je mehr sich die erdberührte Mauerseite zum Hanganschnitt neigt, desto kleiner wird der Gleitkeil, resp. der aktive Erddruck. Dafür erhöht er sich, wenn das Gelände oberhalb der Mauerkrone geböscht ist. Je steiler das Gelände umso grösser sind die einwirkenden Kräfte, da der Gleitkeil sich bei grösserem Neigungswinkel ausweitet. Auch die Mauerhöhe hat den gleichen Effekt. Dass Auflasten oberhalb der Mauer, den Erddruck erhöhen, versteht sich von selbst. Dabei sind nicht nur Fahrzeuge in Betracht zu ziehen, sondern auch Häuser, Swimming-Pools, Menschenansammlungen, Terrassierungen und nicht zu vergessen Baumaschinen und Schüttmaterial während der Bauzeit. Je grösser die Krafteinwirkung, desto schwerer und breiter muss die Schwergewichtsmauer werden resp. desto länger der (Fundament-) Fuss bei Winkelstützmauern.
Erstaunliches Geogitter
Die Idee ist nicht neu, sie kommt heute nur moderner daher. Bereits die Sumerer bauten ihre Tempel mittels im Boden eingelegten Schilfmatten. Auch die Grosse Mauer der Han-Dynastie in China wurde in Teilen mit Matten aus Ästen bewehrt. Durch die Erdbewehrung werden Zugspannungen aufgenommen und der innere Scherwiderstand vergrössert. Sie wirkt hemmend auf die Scherkräfte, ähnlich einer Reibung, die in der Lage ist, einen Körper auf einer schiefen Ebene an der Bewegung zu hindern.
Es gibt einaxial gestreckte Geogitter aus PP mit einer Zugkraft von 20-50 kN/m und biaxial gestreckte aus HDPE mit 40-200 kN/m Zugkraft. Bei einaxial gestreckten Geogittern muss die Verlegerichtung stimmen. Der Stark-Bund muss vertikal nicht parallel zum Hangsicherungssystem verlaufen. Eine Geogitterlänge von mindestens 60% der Mauerhöhe sei eine sinnvolle Dimensionierung, wusste der Bauingenieur. Geogitter werden in Lagen jeweils auf die nächsthöhere, verdichtete Hinterfüllungs-ebene verlegt. Unter Verkehrsflächen oder Zaunanlagen ist es vorteilhaft die oberste Geogitterlage um 1 m im Vergleich zu den darunter liegenden zu verlängern.
Terrassierte Mauern richtig bauen
Bei Terrassierungen dürften sich die Mauern nicht gewichtsmässig beeinflussen. Die obere Mauer belaste die untere Mauer nicht, wenn die untere Mauer H1 höher als die obere Mauer H2 ist. Ebenfalls müsse der Abstand der beiden Mauern zueinander zweimal die Höhe der unteren Mauer (2 x H1) betragen.
Ist es möglich die Terrassierung enger zu planen? Ja, meinte Frei, jedoch seien Regeln zu beachten. Dabei helfe ein Gedankenspiel. Man füge gedanklich den oberen Mauerteil über den unteren. 60% der so resultierenden Gesamthöhe darf die obere Terrassierung zurückversetzt werden, hinter die Geogitter des unteren Mauerteils auf gewachsenem Terrain. Kommt aber die Blockfassade des oberen Mauerteils auf die Auffüllung zu stehen, müsse dieses bis auf das gewachsene Terrain der unteren Mauer fundiert werden. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, den unteren Mauerteil mit einer Tiefe von 35% der Gesamthöhe der Terrassierung zu Hinterbetonieren. Die eingelegten Geogitter müssten betonresistent sein, da der Beton sehr sauer ist.
Nach dem Theorieblock durften die Teilnehmer Hand anlegen und mit den bereitgestellten Werkzeugen und Maschinen die RECON Schwergewichts-Stützmauer und die ALLAN BLOCK Kleinmauerstein-Stützmauer der Firma Frei Beton AG bauen.